Digitale-Dienste-GesetzSo kann eine starke, unabhängige Plattformaufsicht noch gelingen

Monatelang hat die Bundesregierung darum gerungen, wer in Deutschland für die Umsetzung der neuen EU-Plattformregeln aus dem „Digital Services Act“ zuständig sein soll. Nun liegt ein Vorschlag vor, der jedoch wichtige Fragen offen lässt. Unser Gastautor Julian Jaursch wägt die Möglichkeiten ab und gibt Empfehlungen.

Zu viele Köche könnten die Aufsicht von Online-Diensten verwässern. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / pictureteam

In gut sechs Monaten muss Deutschland festgelegt haben, wer hierzulande die neuen EU-Regeln zu Onlineplattformen aus dem „Digital Services Act“ (DSA) umsetzt und wie das geschehen soll. Seit Freitag liegt nun ein Entwurf für das deutsche „Digitale-Dienste-Gesetz“ (DDG) vor, das die Bestimmungen des EU-Gesetzes in nationales Recht überführen soll. Der Referentenentwurf stammt aus der Feder des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) und kann sich noch ändern – neben anderen Ressorts können unter anderem auch Länder und Verbände Vorschläge einbringen.

Der DSA schreibt EU-weit einheitliche Regeln für Onlinedienste wie soziale Netzwerke, Suchmaschinen oder Onlinemarktplätze fest. Erklärtes Ziel des DSA ist, für ein „transparentes und sicheres“ Onlineumfeld zu sorgen, zum Beispiel mit EU-weit einheitlichen Regeln für Beschwerdewege bei Plattformen und Erklärungen zu Onlinewerbung und Empfehlungssystemen. Sehr große Plattformen haben zusätzliche Transparenz- und Sicherheitsmaßnahmen zu erfüllen. Die Verordnung gilt unmittelbar in der gesamten Europäischen Union und löst unter anderem das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ab. Einige Bestimmungen müssen aber die EU-Länder selbst klären, insbesondere Fragen zur Durchsetzung der Regeln.

Eine starke Umsetzung des DSA ist nötig, um für eine unabhängige, nutzer:innenfreundliche Plattformaufsicht in Deutschland und der EU zu sorgen. Was wie schnöde bürokratische Fragen zu Behördenzuständigkeiten daherkommt, hat Einfluss darauf, wie Menschen sich über mögliche DSA-Verstöße beschweren können, wie Forschende an Daten von Plattformen kommen und wie die Anerkennung von Meldestellen bei der Inhaltemoderation abläuft. Diese und weitere Aufgaben muss pro EU-Mitgliedsstaat eine neue behördliche Stelle erfüllen, der „Digital Services Coordinator“ (DSC). Deshalb hatten zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter auch die Stiftung Neue Verantwortung, mehrfach darauf hingewiesen, dass in Deutschland ein gut strukturierter, starker und spezialisierter DSC für die Plattformaufsicht aufgebaut werden müsse.

Da nun die Ideen der Bundesregierung vorliegen: Wie steht es um diese starke Plattformaufsicht? Ich greife hier zwei Aspekte des Gesetzentwurfs heraus, die dafür besonders wichtig sind: die Zuständigkeiten und die Einbeziehung wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Expertise.

Zuständigkeiten klären

Einige Zuständigkeitsfragen sind im Gesetzentwurf klar beantwortet, andere sind für die Anhörung der Fachleute bewusst offengelassen, weil es dazu keine Einigung gab.

Klar ist: Bei der Bundesnetzagentur wird als DSC eine „Koordinierungsstelle für digitale Dienste“ (KDD) eingerichtet, die den DSA hierzulande durchsetzen soll. Die KDD ist damit die zentrale Aufsichtsstelle für Onlineplattformen in Deutschland (bis auf die sehr großen wie TikTok oder YouTube – um die kümmert sich hauptsächlich die Europäische Kommission). Nutzende können sich an die KDD wenden, wenn sie Verstöße gegen den DSA vermuten. Die KDD soll laut Entwurf keinerlei Weisungen der Bundesregierung folgen, um den Ansprüchen an völlige Unabhängigkeit aus dem DSA zu genügen.

Ebenfalls weitgehend unstrittig ist, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte und die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz für Teilbereiche der Umsetzung des DSA zuständig sein werden.

Ein wichtiger offener Streitpunkt ist aber im Entwurf noch mit einem Platzhalter versehen: Welche weiteren Behörden sollen für andere Teilbereiche der DSA-Umsetzung zuständig sein? Zum Beispiel widmet der Gesetzentwurf den Landesmedienanstalten zwar einen eigenen Paragrafen, aber ob die dort beschriebene „qualifizierte Zusammenarbeit“ den Medienanstalten als Garant für die Wahrnehmung ihrer gesetzlichen Aufgaben im Jugendmedienschutz ausreicht, ist ungewiss.

Dahinter steht die größere Frage, welche Art der „Koordination“ die Koordinierungsstelle übernehmen soll. Heißt Koordinierung, dass die KDD Fragen und Verfahren zu vielen Angelegenheiten des DSA an andere Stellen weiterleitet, weil diese dafür zuständig sind? Oder heißt Koordinierung, dass die KDD Expertise von anderen Stellen einholt und selbst Verantwortung für die DSA-Durchsetzung übernimmt? Im ersten Fall wäre die KDD eine Art Sekretariat, möglicherweise vergleichbar mit der Datenschutzkonferenz. Im zweiten Fall wäre die KDD der Dreh- und Angelpunkt der deutschen Plattformaufsicht, der von den Erfahrungswerten anderer Stellen profitiert und diese bündelt – wohlgemerkt auch hier, ohne ihnen Aufgaben wegzunehmen.

Zwischen diesen beiden Alternativen müssen die Gesetzgeber jetzt auswählen. Im Sinne der Verbraucher:innen und Forschung ist die Empfehlung eindeutig: Es sollten keine weiteren zuständigen Behörden benannt werden. Nutzende und Forschende profitierten von einer einheitlichen Ansprechstelle mit eigener Plattformexpertise für ihre Beschwerden beziehungsweise für ihre Anfragen für Plattformdaten. Der Aufbau von eigenem Spezialwissen bei der KDD ist nicht nur für die praktische Umsetzung in Deutschland wichtig, sondern auch dafür, dass sie auf EU-Ebene mit der Kommission und den Behörden anderer Länder zusammenarbeiten kann.

Forschung einbinden und fördern

Bei der Einbindung zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Expertise ist der Gesetzentwurf fortschrittlich, muss aber noch konkretisiert werden. Es soll einen Beirat mit Vertreter:innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie ein Forschungsbudget geben. Dass so die Einbeziehung externer Fachleute gesetzlich verankert wird, ist eine gute Ausgangslage für eine starke Plattformaufsicht. Beides unterstützt den Wissensaufbau zu Plattformregulierung in der KDD, denn bislang waren es hauptsächlich Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, die sich mit Plattformen, ihren unterschiedlichen Geschäftsmodellen und Risiken befasst haben. Gerade am Anfang ist es wichtig, diese Kenntnisse und Erfahrungen in die KDD zu holen.

Allerdings kommt es auf die Ausgestaltung des Beirats und des Forschungsetats an. Im Gesetzentwurf fehlen konkrete Punkte dazu, wie der Beirat angehört werden muss. Zudem bleibt unklar, wie die Aufteilung der genannten Gruppen Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aussieht – sitzen 12 Verbandsvertretungen neben vier Fachleuten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft? Auch die Benennung durch Bundestag und Bundesregierung wirft Fragen auf. Hier muss verhindert werden, dass Mitglieder nach parteipolitischen Gesichtspunkten statt nach inhaltlicher Expertise ausgewählt werden. Zum Forschungsbudget – ohnehin mit jährlich 300.000 Euro nicht gerade üppig – fehlen jegliche Details, was die KDD damit machen darf oder soll. Eigene Forschung? Budget für externe Studien? Aufbau einer Forschungsgemeinschaft? Gezielte Wissenschaftskommunikation?

Der Gesetzgeber hat jetzt noch die Möglichkeit, die guten ersten Ansätze auszubauen. Eine klare Erläuterung, wie der Beirat sich einbringen kann, ist nötig. Über einen Verteilungsschlüssel bei den Vertreter:innen könnte nachgedacht werden. Im Benennungsprozess könnten sich Bundestag und KDD die Verantwortung teilen, damit nicht eine Seite zu viel Einfluss auf den Beirat hat. Sie könnten zum Beispiel auch gemeinsam ein offenes Bewerbungsverfahren abhalten. Egal, wie der Beirat ausgestaltet wird, ist es grundsätzlich sinnvoll, ihn in eine übergeordnete Struktur zur Zusammenarbeit zwischen KDD und Zivilgesellschaft einzubetten. Dadurch wird klarer, dass ein Beirat nur ein Format von vielen sein kann, wie externe Expertise und die Sichtweisen von Betroffenen an die KDD getragen werden können. Konferenzen, Konsultationen oder runde Tische sollten jedenfalls nicht als Optionen ausgeschlossen werden. Für das Forschungsbudget muss nicht jedes Detail ausbuchstabiert werden, aber etwas mehr Klarheit zur Position der KDD in der Plattformforschung ist nötig. Ansonsten fällt das Thema leicht unter den Tisch.

Gute Ausstattung und ambitionierte Leitung sicherstellen

Die Stärke des Beirats und der Forschungsförderungen hängen damit zusammen, welche Rolle die KDD grundsätzlich einnimmt. Muss sie viele Zuständigkeiten an andere Behörden abgeben und übernimmt nur begrenzt Verantwortung für die Durchsetzung des DSA, bringen selbst ein Millionenbudget und ein paritätisch besetztes Beratungsfachgremium eher wenig. Die Gesetzgeber könnten sich für diese Interpretation von Koordinierung entscheiden. Dann dürften sie nur nicht behaupten, dass Deutschland mit dem DSA eine neue Plattformaufsicht hat. Die Pressemitteilung zum Start der KDD im Februar 2024 müsste dann lauten: „Deutschland hat eine weitere Bund-Länder-Arbeitsgruppe“.

Damit wäre allerdings den Nutzenden und der Forschung kaum gedient. Aktuell ist eine Vielzahl unterschiedlicher Behörden mit eng begrenzten Kompetenzen und Ressourcen dafür verantwortlich, Plattformen auf die Finger zu schauen. Statt diese Taktik der tausend Stiche fortzuführen, die wohlwollend als behäbig bezeichnet werden kann, ist es im Interesse der Verbraucher:innen, Kompetenzen und Expertise zu bündeln. Das soll sicherstellen, möglichen Entgleisungen bei Plattformen nicht nur begegnen zu können, sondern sie bestenfalls zu verhindern. Dafür sind eigene Zuständigkeiten, externe Fachleute, eine gute Ausstattung und außerdem eine motivierte Leitung, die nicht davor zurückschreckt, sich in Deutschland und auf EU-Ebene für den Grundrechtsschutz einzusetzen, nötig. Entscheidungsträger:innen bei Bund und Ländern haben es jetzt in der Hand, hierfür die Grundlage zu schaffen.

Julian Jaursch arbeitet beim gemeinnützigen Think Tank Stiftung Neue Verantwortung (SNV) unter anderem zu Fragen der deutschen und europäischen Plattformaufsicht.

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